Eine neue Studie zeigt: Nicht nur Aussenseiter werden Opfer von Cybermobbing. Die Schweizerische Kriminalprävention warnt in einer jetzt erschienenen Broschüre davor.

Die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) hat eine neue Broschüre herausgebracht, die über die Gefahren des Internets aufklärt. Hauptzweck der Publikation ist es nicht konkrete Tipps und Tricks zur Gefahrenabwehr zu geben. Vielmehr sollen die Funktionsweise des Web 2.0 und den damit verbundenen Tücken und Fallen aufgezeigt werden. «My little Safebook», so der Titel, ist in zwei Versionen erhältlich: Für Eltern und für Jugendliche.

Doch sind sich die Jugendlichen einfach den Gefahren des Webs nicht bewusst oder werden diese ganz bewusst in Kauf genommen? Und inwieweit muss die These, dass hautpsächlich Aussenseiter Opfer von Cybermobbing werden, überdacht werden? 20 Minuten Online hat nachgefragt bei Chantal Billaud, Kriminologin und stellvertretende Geschäftsleiterin der Schweizerischen Kriminalprävention.

20 Minuten Online: Was ist Ihre Motivation, gerade jetzt eine Broschüre zur Sicherheit im Netz herauszugeben?

Chantal Billaud: Aufgrund der neuen Entwicklungen mit Smartphones und sozialen Netzwerken im Web ist es wichtig, auf die damit einhergehenden Gefahren aufmerksam zu machen. Vor allem aber sollen Jugendliche in Sachen Medienkompetenz geschult werden und begreifen, wie die neuen Medien im Grundsatz funktionieren und somit auch, weshalb und bei welcher Art Nutzung Vorsicht angebracht ist.

Cybermobbing ist eines der Hauptthemen der Broschüre. Ist das wirklich nach wie vor ein so grosses Problem?

Die Erfahrungen aus Schulen und auch von der Polizei zeigen, dass es wirklich sehr weit verbreitet ist. Wir haben keine konkreten Zahlen dazu. Aber fast täglich erfahren wir von neuen Fällen, auch wenn mittlerweile die Kampagnen gegen Cybermobbing und die Diskussion um besonders krasse Fälle erste Früchte tragen in Sachen Vorbeugung und viele schon vorsichtiger sind.

Eine neue Studie der Pennsylvania State University kommt zur Erkenntnis, dass gar nicht unbedingt Aussenseiter von Cybermobbing betroffen sind, sondern durchaus auch beliebte Jugendliche mit einem grossen Freundeskreis. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Die Praxis zeigt: Es kann prinzipiell jeden treffen. Es muss tatsächlich nicht unbedingt ein Aussenseiter sein. Die Erfahrung zeigt aber, dass es eine Angriffsfläche in Form einer Abweichung von der Gruppennorm braucht. Eine neue Freundschaft, Frisur, Musikrichtung, etc. Das kann schon ausreichen, dass sich eine Gruppe gegen eine einzelne Person zusammenschliesst und im Web eine Mobbing-Aktion startet. Zudem zeigt sich bald auch eine Eigendynamik.

Mal rein theoretisch: Würde sich die Wahrscheinlichkeit, im Web gemobbt zu werden, drastisch verringern, wenn man nicht Mitglied auf Social-Media-Plattformen ist?

Ich würde sagen ja, denn das eigene Profil, Fotos oder gewisse Postings bieten zusätzliche Angriffsfläche. Aber Cybermobbing beginnt meist im realen Leben. Die Ausschlussdynamik setzt sich dann im Web fort und bekommt dort eine zusätzliche Dimension, die für die Opfer schwer zu ertragen ist. Die Angriffe verbreiten sich schnell und unkontrollierbar und manchmal auch aus der Anonymität.

Was sind denn die Hauptmotive, die Täter zu Cybermobbing-Attacken antreiben?

Es ist eine Form der Coolness und der Machtausübung, jemanden fertig zu machen und dafür möglichst auch noch Applaus und Anerkennung von anderen zu bekommen. Mobbing braucht Publikum. Gewisse TV-Sendegefässe verfolgen dasselbe Prinzip. Dieter Bohlen gefällt ja den Zuschauern, weil er so gut einzelne fertig machen kann. Im Netz sinken die Hemmschwellen natürlich noch weiter und jeder kann sich selber leicht zu einem Bohlen aufspielen.

Facebook setzt ja bei Änderungen am System immer mal wieder gerne die Privatsphären-Einstellungen auf ihren selber definierten Standard zurück. Kann man etwas dagegen tun?

Also der einzelne User eigentlich nicht. Auch wir oder andere einzelne Institutionen haben keinen Einfluss auf so grosse Plattformen wie Facebook. Die Anliegen von NGOs in Sachen Sicherheit und Privatsphäre fallen dort nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden. In der Tat sind die laufenden Änderungen ein Ärgernis. Früher haben wir Filme herausgegeben, in denen wir zeigten, welche Einstellungen User bei Facebook vornehmen sollten. Mittlerweile aber konzentrieren wir uns darauf, den Benutzern so gut als möglich einzubrennen, die Sicherheitsstandards immer wieder zu kontrollieren und sich selber dazu auf dem Laufenden zu halten.

Ist es eigentlich tatsächlich reine Unwissenheit von Jugendlichen, die intime Fotos von sich ins Netz stellen, oder werden solche Risiken bewusst in Kauf genommen - zum Beispiel, um von sich Reden zu machen?

Sexting ist unter Jugendlichen ein grosses Problem. Es ist aber nicht so, dass sie sich der Möglichkeit, dass solche Bilder Dritte in die Hände kriegen, nicht bewusst sind. Aber es mangelt ihnen noch an psychosozialer Kompetenz bezüglich Beziehungen. Man könnte auch sagen: Viele Jugendliche sind in Bezug auf die ersten Beziehungen naiv. Sie können sich nicht vorstellen, dass ihr Schatz in ein paar Monaten schlimmstenfalls zu einem Racheengel mutieren könnte.

Liebe versus Vernunft - läuft in dieser Hinsicht also alle Prävention ins Leere?

Keinesfalls. Wir stellen auch fest, dass auf diesem Gebiet eine Sensibilisierung stattfindet. Intime Fotos werden auch weiterhin verschickt. Aber immer häufiger werden zum Beispiel bei Oben-Ohne-Bildern die Gesichter unkenntlich gemacht, bevor sie verschickt werden. Das zeugt ja von einem gewissen Risikobewusstsein. Besser wäre natürlich, wenn eine Freundschaft keine Liebesbeweise in Form von allzu freizügigen Bildern nötig hätte.

Quelle: http://www.20min.ch/digital/news/story/30476276